Klimasprechstunde

In den vergangenen 20 Jahren gab es so viele Hitzesommer wie nie zuvor. Doch wenn Temperaturen tagelang Höchstwerte erreichen und auch die Nächte kaum Abkühlung bieten, leiden viele Menschen gesundheitlich. Welche Herausforderungen ergeben sich dadurch für Personen in Heilberufen?

Von Roya Piontek

Voller Elan steigt Dr. Ralph Krolewski von seinem Fahrrad, geht auf das Mehrfamilienhaus im Gummersbacher Stadtteil Bernberg zu und klingelt. Krolewski macht einen Hausbesuch – natürlich mit seinem E-Bike. „Bis vor kurzem hatte ich noch ein konventionelles Fahrrad, aber hier im Oberbergischen ist ein bisschen Motorunterstützung schon hilfreich“, erklärt der Allgemeinmediziner. Jedenfalls solange der Antrieb klimafreundlich ist – denn Klima und Nachhaltigkeit sind Krolewskis Herzensthemen.

Damit ist der 66-Jährige in der Ärzteschaft nicht allein, aber ein Vorkämpfer. „Die Weltgesundheitsorganisation hat bereits 2003 auf die enge Verknüpfung von Klima und Gesundheit hingewiesen. In Deutschland ist trotzdem lange nichts passiert“, sagt Krolewski, der sich seit vielen Jahren in zahlreichen Verbänden und Gruppen engagiert, die sich mit dem Thema Klima und Gesundheit auseinandersetzen, wie die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) oder Global Family Doctor. Dass beim Deutschen Ärztetag 2021 der Klimawandel Schwerpunktthema war, geschah auch auf Betreiben von Krolewski und KLUG hin. Das Ergebnis war ein Appell der Ärzteschaft an Bund und Länder, das Gesundheitswesen auf die Folgen der Erderwärmung vorzubereiten, zum Beispiel mit Hitzeaktionsplänen, die sukzessive eingeführt werden wie jüngst in Köln. Ebenso wurde gefordert, das Gesundheitssystem und seine Einrichtungen insgesamt klimaneutraler aufzustellen. Auf diesen Aspekt konzentrieren sich auch viele Landesärztekammern wie die in Baden-Württemberg, die zum Weltgesundheitstag dazu aufrief, den CO2-Abdruck im Gesundheitswesen so klein wie möglich zu halten: angefangen bei der ärztlichen Selbstverwaltung bis hin zum ressourcenschonenderen Betrieb durch energieeffizientere Gebäude, Nutzung erneuerbarer Energien oder Mülltrennung und -vermeidung. Krolewski: „Vieles davon ist aber noch theoretisch beziehungsweise wird nur langsam und schrittweise umgesetzt.“

 

Immer mehr Hitzeleidende

Doch auch im Umgang mit Patientinnen und Patienten besteht Bedarf an klimabezogener Beratung – und zwar dringend: Laut einer apoBank-Umfrage bestätigen mehr als die Hälfte aller Hausärztinnen, Fachärzte, Apothekerinnen und Pharmazeuten, dass sie eine Zunahme der gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels bei ihren Patientinnen und Patienten beobachten. Eine Entwicklung, die Krolewski aus seiner Praxis kennt: „Die Zahl der Patientinnen und Patienten, die in den vergangenen Hitzesommern über gesundheitliche Beschwerden geklagt haben, hat deutlich zugenommen.“ Darunter vor allem Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen, aber auch Jüngere, die an ihrem Arbeitsplatz keine Möglichkeit zur Abkühlung vorfanden und deshalb unter Erschöpfung litten – bis hin zum Risiko eines Hitzeschlags.

„Eine weitere Risikogruppe sind Allergiker“, erklärt Claudia Traidl-Hoffmann, Professorin für Umweltmedizin und Allergologie am Universitätsklinikum Augsburg: „Die Klimaerwärmung hat Einfluss auf Ökosysteme und Vegetationszonen. Der Pollenflug startet immer früher im Jahr und dauert länger. Außerdem verschlimmert Hitze bestehende Allergien“, erzählt sie und berichtet von einer Patientin, deren Neurodermitis durch dauerhaft hohe Temperaturen stark aufgeflammt ist. Außerdem, so die Expertin, werden Pollen aggressiver, und neue Arten wie die hochallergene, aus Nordamerika stammende Ambrosia- Pflanze in unseren Breitengraden heimisch. Traidl-Hoffmann: „Schon jetzt leiden 36 Prozent der deutschen Bevölkerung unter Allergien – und es werden mehr. Und wenn Menschen allergiebedingt im Job ausfallen, schwächt das unsere Wirtschaft.“ Europaweit geht sie pro Jahr von Verlusten in Höhe von gut 150 Milliarden Euro für Wirtschaft und Gesellschaft aus.


Individuelle Klimasprechstunde

Dem Allgemeinmediziner Krolewski bereitet noch ein weiteres Phänomen Sorgen. „Viele Patientinnen und Patienten wissen gar nicht, dass sich ihr Gesundheitszustand aufgrund hoher Temperaturen verschlechtert hat.“ In Kombination mit Hitze können bestimmte Medikamente zum Beispiel zu Verwirrtheit führen, gar nicht oder stärker wirken. Krolewski sieht hier seine Aufgabe in der gründlichen Anamnese, Aufklärung und Beratung: „Ich frage nach bestehenden Medikationen oder schaue mir die Wohnsituation an: Sind zum Beispiel Verschattungsräume vorhanden, kann die Wohnung gut belüftet werden?“ Außerdem hat er bei Hausbesuchen immer einen Hitzetracker dabei, mit dem er die Raumtemperaturen exakt bestimmen kann. „Ich empfehle den Betroffenen, den Frühwarndienst des Deutschen Wetterdienstes zu abonnieren, damit sie sich entsprechend vorbereiten können, wenn eine Hitzewelle droht.“

Die Vorsorgetipps sind Teil von Krolewskis Klimasprechstunde, die er seit 2019 anbietet. Zu ihr gehört auch, den Lebenswandel seiner Patientinnen und Patienten mit der „Klimabrille“ zu sehen. „Klagt eine Person zum Beispiel über Rückenschmerzen, frage ich, welchen Beruf sie hat und wie sie sich fortbewegt.“ Oft kämen die Antworten „im Büro“ und „mit dem Auto“. Dann erarbeitet der Gummersbacher Mediziner gemeinsam mit der betroffenen Person ein individuelles Konzept, wie sie im Alltag gesünder leben kann. „Es sind die einfachen Ansatzpunkte, wie ausgewogene Ernährung, mehr zu Fuß gehen oder Rad fahren.“ Zeige er dann auf, dass diese Maßnahmen gleichzeitig zu mehr Klimafreundlichkeit beitragen, stößt er in der Regel auf offene Ohren.

Eigenes Engagement

Ähnlich arbeiten auch Dr. Cornelia und Jörn Buldmann. Das Paar führt seit 1990 eine Praxis für Allgemeinmedizin in Bielefeld. Sie praktizieren integrativ vor dem Hintergrund der Anthroposophischen Medizin. Von der engen Verbindung zwischen intakter Natur und gesunden Menschen sind sie überzeugt. „Was jetzt im Zuge des Klimawandels diskutiert wird, ist ja nicht neu – es ist nur spürbarer und dringender“, sagt Cornelia Buldmann. Das Ärztepaar berät in seinen Sprechstunden ganzheitlich und empfiehlt auch mal naheliegende Maßnahmen zur Lebensstilveränderung im Bereich Ernährung oder den Umstieg vom Auto aufs Rad. „Mobilität ist aus Gesundheitsgründen, aber auch im Sinne des Klimas, eine der größten Stellschrauben – und verhältnismäßig leicht umzusetzen“, so die Ärztin, die möglichst jeden innerstädtischen Weg mit dem Rad fährt. Für längere Strecken steht ein E-Auto bereit, das mit Ökostrom versorgt wird – so wie die gesamte Praxis. Wie mehr Nachhaltigkeit im Praxisalltag gelingen kann, vermittelt sie zudem in Workshops der Planetary Health Academy, einem Fortbildungsforum für Gesundheitsberufe: „Während in großen Kliniken zum Beispiel der Energieverbrauch und Abfall wichtige Umweltfaktoren sind, sind es bei den Niedergelassenen oft die kleinen Dinge, die den Unterschied machen.“ Ihre Mitarbeitenden fahren mit jobfinanzierten E-Bikes und vergünstigten Nahverkehrstickets. Und vor der Praxis gibt es ausreichend Fahrradstellplätze. „Auch Medikamente haben einen großen CO2-Fußabdruck. Besonders lohnt zum Beispiel eine Umstellung von Dosieraerosolen auf klimafreundlichere Pulverinhalatoren bei Asthmaerkrankten.“

Für Ärztinnen, Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker, die klimabewusster arbeiten möchten, gilt: Es zählt viel Eigeninitiative. Doch Netzwerke wie KLUG, die Planetary Health Academy, das Projekt Lebensretter + Klimaretter oder die Initiative nachhaltige Praxis leisten konzeptionelle Hilfestellung. „Speziell praxisbezogene finanzielle Fördermittel gibt es allerdings noch keine. Der bewusste Umgang mit Ressourcen zahlt sich trotzdem schnell aus“, sagt Buldmann.

Handeln statt Mahnen

Noch einen Schritt weiter ist Krolewski: Er hat für seine Praxis ein Hitzeschutzkonzept entwickelt und auf eigene Kosten umgesetzt. Neben mobilen Kühlgeräten, die an heißen Tagen den Empfang, den Wartebereich und ein Behandlungszimmer herunterkühlen, hat er für hitzeempfindliche Medikamente ein spezielles Lager eingerichtet. „Außerdem habe ich vor meiner Praxis einen Carport so umgerüstet, dass er zum einen durch eine natürliche Querbelüftung als Infektionsschutzbereich fungiert und zum anderen durch einen Wasserdampf-Vernebler an der Decke auch bei hohen Außentemperaturen angenehm kühl bleibt.“

Angesichts des diesjährigen Frühlings mit Temperaturen von bis zu 30 Grad Celsius in manchen Regionen und dem vielerorts sehr trockenen Wetter wirken Krolewskis Maßnahmen mit einem Mal sehr vorausschauend. „Ich will kein Mahner sein, sondern ein Berater, der realisierbare Ratschläge gibt – und das geht am besten, wenn man selbst entsprechend handelt“, sagt er – und schwingt sich wieder auf sein E-Bike. Der nächste Hausbesuch wartet.


Vorbilder Frankreich und Großbritannien

FRANKREICH Während des Hitzesommers 2003 starben in Frankreich rund 15.000 Menschen – darunter viele Alte und Obdachlose. Als Folge wurde ein Hitzeplan erarbeitet, der insbesondere vulnerable Gruppen wie Schwangere, Säuglinge, Ältere und chronisch Kranke schützt. Sonderbeauftragte in den Rathäusern führen entsprechende Register Gefährdeter und kontaktieren bei einer Hitzewelle regelmäßig die Betroffenen, um Tipps zu geben und nach dem Befinden zu fragen. Außerdem gibt es öffentliche kühle Räume und verschattete Plätze, die bei Extremtemperaturen für Abkühlung sorgen. Arbeitgeber werden zudem verpflichtet, kühle Räume für die Mitarbeitenden einzurichten. Darüber hinaus kann in extremen Hitzephasen zusätzliches Gesundheitspersonal aktiviert werden, um in Kliniken und Krankenhäusern auszuhelfen.

GROSSBRITANNIEN Auf der Insel gibt es seit 2020 ein klar definiertes Klimaziel: Bis 2028 soll der CO2-Ausstoß im Gesundheitssystem um 80 Prozent gesenkt werden. Schritte dahin sind zum Beispiel emissionsfreie Rettungsfahrzeuge, verbesserte Recyclingsysteme in Praxen und Kliniken sowie energetisch optimierte Gebäude. Und nicht zuletzt erfolgt ein Umdenken bei Medikationen: So werden bei Asthmatikerinnen und Lungenkranken keine Sprays mehr verschrieben, sondern Pulverinhalatoren. Allein durch diese Maßnahme wird der CO2-Fußabdruck des britischen Gesundheitssystems schätzungsweise um drei bis vier Prozent gesenkt.


 

INTERVIEW

„Hohe Dunkelziffer“

Asiatische Tigermücke und Zika-Virus – drohen mit steigenden Temperaturen Plagen tropischer Insekten und Krankheiten? Dazu forscht Arbovirologe Jonas Schmidt-Chanasit.

Asiatische Tigermücke und Riesenzecke – glaubt man den Boulevardmedien, lauern mittlerweile überall exotische Insekten und Krankheitsüberträger auf uns. Was ist da dran?
Unumstritten ist, dass die Asiatische Tigermücke bei uns heimisch geworden ist. Die Asiatische Tigermücke wurde bereits 2007 in Deutschland nachgewiesen und breitet sich als invasive Art immer weiter nach Norden aus. Und ja, sie kann exotische Krankheitserreger übertragen, und ja, ihre Ausbreitung lässt sich nicht aufhalten, sondern nur verlangsamen. Trotzdem: Mit großen Infektionswellen ist vorerst nicht zu rechnen. Denn obwohl die Tigermücke unsere Winter übersteht, besteht in den kalten Monaten keine Ansteckungsgefahr, da die Erreger zur Vermehrung höhere Temperaturen brauchen.

Wie gelangen die Arboviren denn nach Deutschland? Oft heißt es, Zugvögel wären die Überbringer.
Das kann der Fall sein. Meist ist es aber der Reise- und Warenverkehr, über den Arboviren und exotische Insekten zu uns gelangen. Und zwar nicht nur zwangsläufig aus Asien oder Afrika. In Südeuropa gibt es seit Jahren immer wieder Fälle von Dengue-, Zika- und Chikungunya-Fieber. Von dort ist der Weg zu uns kurz. So war es auch 2020 beim West-Nil-Virus, das wohl aus Tschechien und Österreich nach Deutschland gelangte.

Was bedeuten diese exotischen Krankheiten für die Ärztinnen und Ärzte in Kliniken und Praxen?
Die Kolleginnen und Kollegen sollten zum einen aufmerksam sein, wenn sich Meldungen über Ausbrüche bei Tieren und Menschen häufen. Denn wo es einen erkannten Fall gibt, gibt es eine hohe Dunkelziffer unerkannter Fälle. Zum anderen empfehle ich eine gründliche Anamnese. Klagt beispielsweise ein Patient über Schläfrigkeit und Nackensteifigkeit, sollte unbedingt geklärt werden, wo er zuletzt war. Ist er Reiserückkehrer oder hat er sich im Schrebergarten aufgehalten, in dem es eine Mückenplage gibt? Bei der West-Nil-Virus-Epidemie in Leipzig war es eine aufmerksame Allgemeinmedizinerin, die stutzig wurde und im Labor entsprechende Tests angefordert hat. Ein anderes wichtiges Thema ist das Impfen gegen FSME. Die Risikogebiete, in denen Zecken das Virus übertragen können, breiten sich immer weiter Richtung Norden aus und die Impfung bietet sehr guten Schutz.

Drohen denn langfristig größere Ausbrüche exotischer Viruserkrankungen?
Ausschließen kann man leider nichts. Aber vorerst ist nicht mit größeren Epidemien zu rechnen, die das Gesundheitssystem nennenswert belasten. Was man hingegen nicht unterschätzen sollte, ist der wirtschaftliche Faktor. Die Asiatische Tigermücke, die übrigens, anders als ihr Name es vermuten lässt, eher klein ist, ist ein echter Plagegeist. Sie ist tagsüber aktiv und kann beispielsweise den Biergarten- oder Cafébesuch so massiv stören, dass Außengastronomiebetriebe geschädigt werden können. Auch deshalb gibt es seit einigen Jahren das europäische Frühwarnsystem „EYWA“ und Organisationen wie die Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (KABS). Sie bekämpfen die Tigermücke gezielt mit biologischen Methoden und verlangsamen so die Ausbreitung. Ihre Arbeit wird insbesondere in warmen Jahren noch wichtiger werden. Und Repellents wie DEET, Icaridin und Citriodiol, die auch gegen Tigermücke und Co. helfen, sollte jeder kennen.

 

Weitere Informationen

Weitere Informationen zum Thema finden Sie in unserer Podcast-Episode:
Klimaschutz in Arztpraxen